HAIBUN
Vladimir Devidé - Nada Žiljak |
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Meinen Haiku-Freunden gewidmet: Dipl. Ing. Rikardu Bariću, V. D. |
UDK 886.2-1 |
Vorwort und Dank Dieser Band enthält Haibun aus meinem Buch ‘Bijeli cvijet’ (Weiße Blume) aus den Jahren 1988 und 1994 und einige Haibun, die danach in japanischen, amerikanischen und kroatischen Literaturzeitschriften erschienen sind. Zagreb, den 12. Mai 1999 Vladimir Devidé |
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VLADIMIR DEVIDÉ wurde am 3. Mai 1925 in Zagreb geboren. B.Sc. (Ingenieurbau), 1951 und Dr. sc. math., 1956. Ordentlicher Professor em. der Universität Zagreb und Ordentliches Mitglied der Kroatischen Akademie der Wissenschaften und Künste. Forschungsstudien in Israel (1960) und in Japan (1961-1963). Gastprofessor an der Monash University, Australien (1968) und an der Ohio State University in Colombus, USA (1971). Teilnahme an zahlreichen internationalen mathematischen Kongressen und Symposien. Kroatischer ‘Ruūer BoĻkoviś’ Preis für Wissenschaftliche Leistungen (1965), Preis der Stadt Zagreb (1982), ‘Le Prix CIDALC’ (1977) und der Japanische Orden vom Heiligen Schatz (1983). Auf dem Gebiet der Mathematik publizierte er 40 wissenschaftliche Aufsätze und über 200 Essays und Artikel, und hielt über 60 öffentliche Vorträge (Vorlesungen) über seine wissenschaftliche Arbeit. Er publizierte 15 Bücher über Mathematik. Auf dem Gebiet der Japanologie und Literatur veröffentlichte er in kroatischen, amerikanischen, japanischen, deutschen usw. Literaturzeitschriften und Magazinen über 200 Essays und Artikel und 16 Bücher. |
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NADA ZILJAK wurde 1944 in Zagreb geboren und entstammt einer Kunstmaler-Familie. Im Jahr 1967 schloß sie ihre Ausbildung an der ‘Akademie der bildenden Künste’ in Zagreb und 1970 die Ausbildung in ihrem Spezialfach ab. Sie ist freiberufliche Künstlerin. Sie arbeitet in verschiedenen Techniken: Öl auf Leinwand und Papier, Zeichnungen, Wasserfarbe, Pastellmalerei, Graphik, Radierung, Linolschnitt. Über ihr Werk sind viele Publikationen erschienen; eine Monographie über Zeichnungen im Jahr 1995 und 1993 eine von –uro Vanūura verfasste Monographie. Monographien über ihre Arbeiten in Wasserfarbe und ihre Linolschnitte sind in Druck. Ihre Kunstwerke sind in vielen Museen der Welt und in privaten Sammlungen zu finden. Sie hatte über 30 Einzelausstellungen in Kroatien, Österreich, Ungarn, Ägypten, Bosnien und Herzegowina, Deutschland und der Ukraine. (1997) |
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Gras Ich liege im Gras und bin kurz vor dem Einschlafen, Halme in Grün stehen ganz nah bei mir, und weit jenseits von ihnen sind die blauen Berge. Auf dem Boden liegen Kieselsteine, im Gras verstreut, Insekten krabbeln die Grashalme entlang, und kleine Fliegen huschen zwischen ihnen hin und her, ganz nah. Die fernen Berge sind mit Wäldern bedeckt und zu ihren Füßen breiten sich Städte aus - Menschen leben und arbeiten dort. Weit weg, unendlich weit weg. Zwischen dem mich dicht umgebenden Gras und den fernen Bergen ist nichts, nicht das Geringste ist zwischen beiden. Die Berge heben sich aus dem Gras empor, die Berge sind im Gras, die Berge sind das Gras. Die Grashalme sind Bäume in den fernen Bergen, und die Kieselsteine auf der Erde sind ferne Städte. Die Insekten und Fliegen im Gras sind die Menschen in den fernen Städten und die hundert Jahre alte Kiefer auf der Bergspitze Ich liege im Gras - |
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Wolken Den Himmel durchsegeln sie, die Wolken, und entschwinden und tauchen wieder auf wie Seelen, wie Gedanken, wie Liebende. Durch und durch weiß und weich, makellos, bilden sie das Dach über dem Zuhause der Vögel, sich ihrer selbst nicht bewußt, leben und sterben sie in Verwunderung, in Jubel, in Gelassenheit, denn sie sahen das Leben über der Erde. Sind sie über Schmerz und Freude erhaben, so erhaben, daß alles, was sie sehen, nur noch ganz winzig wie Spielzeug erscheint, dann ballen sie sich zusammen und lösen sich wieder, füllen Leerräume und lichten unendliche Weiten. Stets im Wandel, von Augenblick zu Augenblick, immer auf dieselbe Weise, seit ewigen Zeiten, lang vor den Pharaonen. Grämen sich jedoch die Wolken, müssen sie eine schmerzliche Entscheidung treffen, dann sitzen sie, bevor sie in Tränen ausbrechen, ernst und düster im Schatten unter der Sonne, tief in Gedanken versunken - und dann herrscht Stille. Finstere Wolken |
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Regen Himmel breitet sich über einem Netz von Zweigen aus: an sternenübersäten Gefilden vorbei fällt aus einem Wolkengewirr Regen herab. Feuchte Funken umschwirren das Licht. Sie glitzern im Haar - inmitten schwarzer Fäden vor nächtlichem Vorhang - Reste ausgebrannter Perlen. Wenn nur die Tropfen nicht von den Augenwimpern gleiten würden! Blickt man in sie, versprüht sich ein jeder in hundert tanzende Funken: Ein Schleier silberner Funken wandert zwischen den Sternen. Die Augen - für ewig, warme Sterne, in Splittern eines sich versprühenden Herbstes Wie lieblich es ist, |
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Wirbelwind Ein heftiger Wirbelwind treibt dunkle und schwere Wolken vor sich her. Sein Heulen ist zu hören, wenn er die Baumstämme zersplittert, sein Gellen, wenn er sich an den Hügeln bricht. Dieser Himmelsdämon fällt über Wälder und Felder her, droht mit seinen befreiten titanischen Fäusten. Der Ausreißer-Gigant zerbricht seine Ketten, Schaum vor seinem Mund, und stürzt blindlings in die Täler, um sie zu zerschmettern und zu zermalmen. Der Blitz ist sein Blick, der Donner der Schlag seiner Faust. Sobald er die gegenüberliegenden Berge erreicht hat, fällt er wie eine verwundete Bestie über sie her. Die Hügel zerreißen ihn in Stücke - wohin kann er gehen, was kann er tun, was kann er zerstören? Er fängt an zu wanken; seine Schläge werden seltener, sein Tosen nimmt ab. Er fällt. Sie haben ihn getötet. Des Donners Krachen Und nachdem er gefallen ist, bricht der Wirbelwind in Tränen aus, und dicke Regentropfen beginnen friedlich zu fallen, um das Gras zum Leben zu erwecken und die Wunden der abgebrochenen Zweige zu waschen. Er beruhigt sich und fällt in Schlaf, benetzt von den warmen Tränen. Alles atmet Ruhe, und die Vögel und die Grillen schweigen. Selbst die Zeit hält voller Ehrfurcht inne, beim Tod des gebrochenen Giganten. |
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Bach Als ich einmal die Straße entlangwanderte, nach der Heuernte, sah ich in der Ferne ein Mädchen mit glattem, flaxblondem Haar; mit offenem glattem Haar - dem Wasser gleich, das über einen runden weißen Stein in einem Bergbach fließt, immer dann, wenn es stark regnet oder im Frühling, wenn der Schnee auf den umliegenden Hügeln schmilzt. Ich weiß nicht, ob sie hübsch war; nur für einen Augenblick sah ich ihre großen blauen Augen. Ich sah sie niemals wieder, aber in meinen Gedanken hielt ich lange, lange Zeit, Tag und Nacht, nach dem Mädchen mit dem glatten, flaxblonden Haar Ausschau. Über rundem Stein Gern würde ich ein paar blaue Blumen auf der Wiese pflücken, um sie in das flaxblonde Haar zu flechten; Vergißmeinnicht und blaue Glockenblumen. Wo ist es jetzt, jenes Mädchen mit dem flaxblonden Haar? In der Milchstraße findet sich nur ein Abglanz ihres Haares. Im goldenen Stroh des reifen Korns sind einige Haarsträhnen. Und jedesmal wenn ein Strahl der untergehenden Sonne durch die Kiefern dringt und das Wasser berührt, gleitet noch immer eine einzelne Locke über den runden Stein im Bergbach dahin. |
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Brombeeren Der Ruf des Schneehuhns ist ein Gesang der Liebe - - ein Ruf des Schneehuhns im Wald, inmitten des Wacholders. Und das Zirpen der Grillen ist ein Gesang der Liebe - - das Zirpen der Grillen auf dem Acker, nach dem Regen. Und das Flattern eines Schmetterlings ist ein Gesang der Liebe - Und der Duft der Blumen ist ein Gesang der Liebe - Und das Blau des Himmels ist ein Gesang der Liebe - Und das Flüstern eines Betenden ist ein Gesang der Liebe - Und die Liebe selbst ist ein Gesang der Liebe - Abend, Dämmerung - |
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Herbst Sie steigen vom Himmel herab um die Erde zu trösten - unzählige Regentropfen: sie breiten ihre Schleier vor den fern liegenden Bergen aus, um uns in Frieden träumen zu lassen. Der Herbstregen hat die herbstlichen Blumen und Gräser und die herbstlichen Blätter gewaschen und jetzt nimmt er mit sanftem Geflüster Abschied, zufrieden und erfreut. Und jeder Regentropfen birgt sein Licht, seine Melancholie in sich und trägt die Farben des Herbstes und wäscht von der Seele Angst und Unzufriedenheit weg und birgt weiterhin Licht und Melancholie. Abgefallene Sonnen leuchten in den Augen und verteilen sich in Tröpfchen auf dem einem Spinnennetz gleichenden Haar, leuchten in andere Augen und rund umher - auf dem Boden, auf den kahlen Bäumen und am Himmel, inmitten der Sterne. Und es ist bereits Nacht, und der Regen glitzert noch, er hebt den Unterschied zwischen Licht und Dunkelheit auf und hebt alles Zeitliche auf und hebt alles Räumliche auf. Jeder einzelne Tropfen, jeder einmalige Tropfen: Welten spiegeln sich in ihm. Verstreut die Sterne. |
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Jahreszeiten Frühlingsmorgen. Ein blauer Schmetterling, vom Himmel erschaffen, umflattert den gelben Löwenzahn - kehrt zur Sonne zurück. Vom Frühling gebracht, bringt er den Frühling. Blauer Schmetterling! Sommermittag. An der Straßenbiegung, nahe dem Bach am Rand einer klaren Wasserlache, wachsen neben durchnäßten Kieselsteinen und feuchten Blättern des letzten Herbstes fleischige Stengel und lederartige Blätter und metallene Blumen: Blüten mit goldenen Blättchen und Staubgefäßen voll goldenen Puders und dünnen goldenen Fäden. Goldene Blumen - Herbstabend. Letzte Strahlen der untergehenden Sonne kämpfen sich ihren Weg durch die Blätter des Weins. Der mit Moos bedeckte Eichenstumpf und der Adler hoch über der Quelle bewahren das Geheimnis des Berges. Das Licht der Sonne Winternacht. Eisnadeln am dunklen Himmel. Die Schatten im Mondlicht aus blauem Stahl. Harzige Zweige glimmen im Kamin. Fenstervorhänge |
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Kinder Eine gerade, staubige Straße. In der Nähe bauen Kinder ein Lehmhaus. Gänse überqueren eine hinter der anderen die Straße. Von fern nähert sich ein alter Schulbus. Staubige Straße... Ich weiß ganz genau, daß der Bus selbst hupt und nicht der Fahrer. Eine Waldwiese ist von Bäumen umgeben. Kinder tollen auf ihr herum, versuchen einander zu fangen. Eine bunte Schar - Und etwas weiter Ein junger Hund rennt Hütten am Waldesrand. In einem der Gärten streichelt ein kleines Mädchen ein Huhn, das es mit sich herumträgt. „Käsekuchen mag |
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Veilchen Vor einem Haus in Tokio, das von ausländischen Matrosen aufgesucht wird, steht ein Mädchen und verkauft Veilchen. Seine ältere Schwester ist im Haus (der Vater starb bei einem Unfall und sein Bruder studiert an der Universität, so daß er nicht genug Geld verdienen kann). Heute kommen keine Matrosen (sie sind grob, widerlich und kauen Kaugummi - aber wie auch immer, sie zahlen und lassen Schockolade und Zigaretten zurück). Heute kommen einige Fußballspieler aus einem fernen kleinen Land Europas. In ihrer Heimat sind sie sehr beliebt: die Zeitungen schreiben über sie und drucken Fotos von ihnen ab, die junge Mädchen ausschneiden und in ihre Tagebücher kleben oder zu ihrem Fernseher stellen - sogar in ländlichen Gegenden. Sie sind betrunken. Nachdem jeder sein Vergnügen hatte, fällt die ältere Schwester in Ohnmacht. Einer der Fußballspieler versucht, sie mit Kognak wiederzubeleben, aber es gelingt ihm nicht. Schließlich machen sich die Spieler, ohne zu zahlen, davon und trinken noch den Rest des Kognaks. Das Mädchen wartet immer noch auf seine Schwester; es ist kalt und regnet, aber es kann nicht allein nach Hause gehen. Noch weiß es nicht, daß seine ältere Schwester ihm heute keine Schockolade bringt. Regennasse Nacht; |
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Mutter und Tochter Oben im Zimmer legt die Mutter weißes Linnen und Wäsche in einen weißen Schrank für ihre Tochter beiseite; sorgfältig, übersichtlich, sauber. Sorgfältig weggelegt Unten im Garten pflückt die Tochter Mohnfrüchte. In einem schlichten Kleid fegt sie den Weg und ist die Königin der Blumen und Schmetterlinge. Sie läuft barfuß über die Erde, das Gras - Göttin von Erde und Gras. Sie aß einen Pfirsich und warf den Stein weg - Gebieterin der Frucht, der Sonne, des Himmels. Sie ist die Gebieterin, die Königin und Göttin von der Erde bis zum Himmel. Mit ihren Händen Während die weiße Bettwäsche im weißen Schrank schläft, breitet die Tochter ihre Arme und ihr Haar über den Garten aus, und während der Mondschein das Linnen bleicht, verwebt die Tochter die Sonne mit ihrem Haar. |
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Wiese Müde, unendlich müde, sah ich dich die durch den Sturm herabgefallenen Äpfel aufsammeln. Nasse Äpfel aus nassem Sand im Hof; müde beobachtete ich, wie du die Wäsche aufhingst: weiß, sauber, eben erst gewaschen; müde beobachtete ich, wie du Milch aus dem Nachbardorf über die Felder trugst - ich weiß genau, daß ich dir niemals etwas sagen kann - aber das stimmt mich nicht traurig: deine Anwesenheit bedeutet Anwesenheit von Glück; ich weiß, daß ich niemals deine Hand berühren oder dein Haar streicheln kann - aber ich weiß, daß ich weggehen und viel früher als du zurückkehren muß - aber es stimmt mich nicht traurig: du wirst in deinen Feldern und Wiesen sein, in deinen Bergen - Wiese: ein grünes, |
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Abend in einem kalten Zimmer Ein ungeheiztes Zimmer. Draußen bläst ein kalter Wind, es gießt in Strömen. Ein weißer Emaileimer ist voll mit Wasser. Mansardenfenster: Ein Mädchen in einer blauen Schürze bringt eine Schale Milch. Eine dicke, schwere, warme Porzellanschale. Beim Heraufkommen Der Regenschauer hält inne. Dunst steigt vom Rasen auf. Die heiße Milch dampft aus der dicken Schale - und an der Oberfläche hat sich eine Haut mit gelblichen Ringen gebildet. Die Kirche ruft zur Vesper - die Glocke läutet, dann noch einmal, und dann ein ganzer Schwall von Klängen. Die weite Wiese Der Wind hat sich gelegt. Der Himmel ist mit Wolken bedeckt. An einer Stelle flackert ein matt-fahler Stern, ein Tropfen Milch im Zwielicht. Der Stamm des Apfelbaums unter dem Fenster wird nicht mehr beleuchtet - vielleicht schläft das Mädchen in der blauen Schürze bereits. Leichter Abendwind - |
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Weiß und Blau Die Berge waren noch mit schneeigen Blumenblättern betupft, und die Wiesen bereits mit Gänseblümchenflocken bedeckt. Von den Berggipfeln strömte Weiße in die Täler, in milchige Kübel. Weißer Schnee, Der Rasen war voll von Vergißmeinnicht, Tropfen eines Regenschauers aus klarem Himmel. Auch ihre Augen waren zwei Vergißmeinnicht. Am Rand der Berge begegneten weißer Schnee und blauer Himmel einander, und im Gras weiße Gänseblümchen und blaue Vergißmeinnicht. Ringe blauer Iris schweben in weißen Augen. Wie soll ich sie vergessen, wenn ich weiß, daß sie aus jedem Vergißmeinnicht blickte, an jeder Fichte stand und auf jedem Stein saß, aus jedem Vogel sang und aus jedem Stern strahlte und mit jeder Mücke in den Wolken über dem See tanzte? Weißes Licht in |
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Alpenveilchen In der Mitte des Hofes wächst ein Berberitzenstrauch. Im Schatten seiner Zweige pflanzte sie einst ein paar Alpenveilchen aus dem nahen Wald. Sie blühten jedes Jahr. Später brachte auch ich ein Alpenveilchen und pflanzte es neben ihre. Viele Herbste später kehrte ich wieder zurück, aber die Alpenveilchen waren nicht mehr da. - Deine Alpenveilchen blühen nicht mehr? - Sie bekommen hier jetzt zu wenig Licht... Es stand auch eines von Ihnen hier. An jenem Abend waren die Kleewiesen grüner, die Wolken höher, die Schatten der Berge tiefer; denn sie sprach jenes „Es stand auch eines von Ihnen hier“ ein bißchen leiser aus. Berberitz-Schatten |
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Heft Er arbeitete in einem bestimmten Konsulat in Tokio, stellte sich japanischen Mädchen jedoch als „Jean Paul, französischer Pilot“ vor. - Ich traf ein reizendes Mädchen aus der Höheren Schule, sagte er. Es lernt Englisch, Großer Gott! Du, der Du uns allen vergibst...Du würdest auch ihm vergeben. Vielleicht liegt genau darin Deine Größe, daß Du selbst i h m vergibst... Aber... w i e k a n n s t D u ? Das Mädchen geht fort |
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Weiße Windröschen Eine weiße Blume ist das Bild eines weißen Kusses, ihr Duft ist der Duft von schwarzem Haar: wie Hunderte von weißen Windröschen unter den schwarzen Bäumen verstreut, verschwinden sie in dem schwarzen Haar - Hunderte von weißen Küssen. Weiße Blumen wachsen auf den Berghängen; ihre Gipfel sind in weißen Schnee gehüllt, unter weißen Wolken - - ertrunken in schwarzer Nacht, weiße Küsse verweben sich mit ihm, verirren sich in ihm, dem schwarzen Haar. Komm, laß uns über den schwarzen Wald hin zu den Wiesen fliegen, zum Quell, wo der Schnee schmilzt: aus seinen weißen Flocken sprießen die weißen Blütenblätter der Windröschen - jetzt, in dieser schwarzen Nacht unter weißen Sternen. Schwarze Kiefern werfen weiße Schatten, um weiße Windröschen zu verstecken. Nadeln werden sich in deinem schwarzen Haar verfangen, werden weiße Küsse in sich bergen. Schau: siehst du dort unten einen schwarzen Bach fließen - wogende Locken schwarzen Haars. Und lausche: hörst du das weiße Schwarzes Haar |
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Papierblume Früh am Morgen erhielt ich eine Papierblume in einem Brief von ihr. Legt man diese Blume in das Wasser, geht sie auf und blüht wie eine echte. Wie viele Male wollte ich sie bereits in das Wasser legen, aber ich brachte es nicht übers Herz. Ich wußte, einmal im Wasser, würde sie rasch vergehen. Noch zögere ich. In ihr sehe ich das Mädchen, das mir diese Blume sandte, und ich möchte mir mit dieser Blume eine Knospe für ewig bewahren. Gelegentlich kamen mir jedoch Zweifel. Ist nicht eine ewige Knospe tot, bevor sie je geboren wurde? Hat sie denn überhaupt eine Art von Lebendigkeit? Eine Papierblume - Es ist bereits Nacht geworden; bald gehe ich zu Bett. Je näher dieser Augenblick heranrückt, um so schwieriger wird es für mich: Ich weiß nicht, weiß es wahrlich ganz und gar nicht, soll ich die Papierblume ins Wasser legen oder nicht, bevor ich mich schlafen lege. |
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Kiefernpilz Ein kleiner Kiefernwald, Sand. Bauersfrauen sammeln winzige weiße und grau-braune Pilze, Kiefernpilze genannt, mit Harken ein. |
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Ströme weißer Pünktchen Ein schmaler Strom weißen Rauchs schlängelt sich dahin, steigt empor, bis er sich an der Zimmerdecke verflüchtigt. Eine zarte Locke schwarzen Haars löst sich und fällt über Schläfe, Wange, Hals und breitet sich in der Vertiefung unter dem Schlüsselbein aus. |
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Brief Er verliebte sich in sie nicht nur, weil sie sehr hübsch war. Tatsächlich war er auch von ihrer Intelligenz beeindruckt, denn so wie eine häusliche und einfache Frau ihren Charme und ihre Schönheit besitzt, so auch eine wirklich intelligente. Aber es gab noch etwas, das weit über dies hinausging, was seine Liebe zu ihr weckte. Er bemerkte jedoch auch, daß andere sie genauso liebten, und sie mehr Recht dazu hatten, weil sie viel mehr Möglichkeiten hatten, - um es vereinfacht auszudrücken - sie glücklich zu machen. Und so gestand er ihr niemals seine Liebe ein, sondern begnügte sich mit einem regnerischen Abend, mit seinem bis zu der Nase geneigten Schirm, damit sie ihn nicht erkennen konnte, und wartete an einer bestimmten Stelle auf sie, im Glauben, daß sie auf ihrem Weg zum Abendessen an dieser vorbeikommen müßte, nur um sie während ihres Vorbeigehens für einen Augenblick zu sehen. Als er sie viele Jahre später mit ihrer Tochter traf, die, wie man bereits sehen konnte, einmal genauso hübsch wie ihre Mutter werden würde, unterhielten sie sich eine Weile und unternahmen einen Spaziergang. Er zeigte ihr einen Brief von ihr, - den einzigen, den sie jemals an ihn geschrieben hatte - den er all die Jahre als etwas Besonderes aufbewahrt hatte, denn jeder einzelne Buchstabe in ihm war von ihr. Auf der letzten Seite Als sie sich trennten und er mit einem kleinen Souvenir, das sie ihm gekauft hatte, an einer grünen Wiese voll von blühendem Löwenzahn vorbeiging, strahlten Tausende von ihnen wie kleine Sonnen; sie waren wirklich Sonnen, und dann wurde ihm klar, völlig klar: wenn es überhaupt so etwas gab, das man wohl empfand, wenn man von „Glücklichsein“ sprach, dann war es jene Art von Glücklichsein, die man fühlt, wenn man sieht, wie jemand, den man einst sehr, sehr geliebt hat, glücklich ist, auch wenn man selbst ganz und gar unglücklich ist. |
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Kamille Reginald Horace Blyth schreibt irgendwo, daß Suzuki Daisetz auf die Frage, was mit ihm nach dem Tod geschehen würde, antwortete: „Ich denke, daß ich aus dem Dasein scheide - aber das Verlangen nach einem zukünftigen Leben ist auch eine Tatsache.“ |
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Nofretetes Nacken Als junger Mann war er ein Bewunderer der altägytischen Kunst; und so besuchte er, viele Jahre später, während eines Deutschlandbesuches, die betreffende Abteilung der Staatlichen Museen im (damaligen) West-Berlin. |
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Kuß auf das Auge Dein Auge ist das Auge aller Mädchen aus allen Ländern und aus allen Zeiten - all dies ist in ihm enthalten, all dies ist nur ein Teil von ihm, und auch es, dein Auge, ist ein Teil von alledem, von all jenen Augen. |
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Maienduft von Blättern aus Apfelbäumen in voller Blüte Bricht während eines klaren Morgens Gold aus dem Blau des Himmels hervor, glänzt ihr Lächeln im Tau auf den Blättern der Apfelblüte. |
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Kuß Ich möchte sanft und mild deine Lippen küssen, wie - im Mondlicht - der Schatten eines flatternden Nachtfalters, der über die geschlossenen Blätter einer wilden roten Mohnblume gleitet und diese liebkost. |
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Junge Fremde Soldaten führen eine Gruppe von Menschen ab. Zur Zwangsarbeit, ins Gefängnis oder zum Exekutionskommando? Soldaten mit Gewehren über ihren Schultern, in Stiefeln. Die Soldaten werden von einem Offizier zu Pferd kommandiert. Ein Junge geht die Straße entlang. Er hält ein Stück Brot in seiner Hand. Er blickt auf die Soldaten. Auf die Menschen, die abgeführt werden. Ein Soldat schlägt mit seinem Gewehrkolben auf eine Frau, die ihren Ehemann (oder ihren Bruder?) erblickt hat, ein. Dem Jungen gelingt es, einem Mann das Stück Brot zu geben. Die Kolonne entschwindet im Staub. Der dunkelhäutige Junge |
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Ya-chan Ya-chan war ein kleines Mädchen aus einem Dorf in der Nähe von Hakata auf der Insel Kyushu. - Als ich mit Papa nach Hause zurückkehrte, war es bereits spät. Die Haustür war verriegelt. Mama schlief. Wir entschlossen uns, sie nicht zu wecken. Wir setzten uns in den Garten. Die Nacht war angenehm warm. Wir betrachteten den herrlichen Vollmond und lauschten dem Zirpen der Zikaden. Wie wohltuend es war! Wir nickten nicht einmal ein. Die Nacht verging schnell. Als meine Mutter erwachte und das Fenster öffnete, sah sie uns auf der Gartenbank sitzen. „Oh, wie verrückt Ihr doch seid, beide, Du und Dein Vater!“ - Doch sie meinte es nicht wirklich so und wir waren sehr glücklich. Vater und Tochter |
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Mirogoj* * Mirogoj ist der Hauptfriedhof in Zagreb. |
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Allerseelen * Der Hauptfriedhof von Zagreb
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Hiroshima Unterhalb des parabolischen Mahnmals, das an der Stelle, wo die Atombombe in Hiroshima fiel, steht, befindet sich ein Stein mit der Inschrift: Laßt den Fehler niemals wieder geschehen. (Um 8.15 morgens, japanische Zeit, am 6. August 1945, fiel die Bombe; über hunderttausend Menschen wurden vergast, verbrannten, wurden verstümmelt oder zu Krüppeln gemacht.) Wessen Fehler? Ein Vierteljahrhundert später servieren sie in einer Bar in Hiroshima einen „Atom-Cocktail“. Ein Fehler wird wiederholt. Die olympische Fackel im Hauptstadion von Tokio entzündete ein Mann, der am Tag des Bombenfalls geboren wurde. (Einige Menschen kritisierten dies.) Ein Fehler? In dem Mahnmal ‘Atomkinder’ hängen Tausende von origami-Papierkranichen, die von Kindern aus ganz Japan gefaltet wurden. Kraniche fliegen - |
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Erleuchtung Er, der das andere Ufer erreicht hat, und dennoch hier weilt - um andere mitzunehmen - ist zufrieden, denn er weiß, daß es kein ‘Wissen’ und kein ‘Nicht-Wissen’ gibt. Die Glückseligkeit des Schmetterlings ist seine Glückseligkeit und die Tränen der Verlassenen fließen aus seinen Augen. Er weiß, daß es kein ‘Ich’ und kein ‘Du’ gibt. Er besitzt nichts und so ist alles sein eigen: die Schätze der Könige, der Himmel und die Kiefern im Wald. Er weiß, daß es kein ‘Mein’ und kein ‘Dein’ gibt. Er hat allem entsagt und so ist ihm die ganze Welt geschenkt: alles, was gewesen, was ist und was sein wird. Er weiß, daß es kein ‘Jetzt’ und kein ‘Dann’ gibt. Über was er nachdenkt, ist Wirklichkeit, und Wirklichkeit ist seine Einbildungskraft. Er weiß, daß es kein ‘Wachsein’ und keinen ‘Traum’ gibt. Nicht einmal sein Dasein im Hier nimmt er wahr - solcherart ist seine Freiheit. Auf Erden lächelt er mit dem Lachen der Gottheiten, auf dem Meer segelt er im Himmelsboot, und während er Brot und Wasser zu sich nimmt, genießt er Nektar und Ambrosius. Wieder zuhause, |
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Kami Ich bestieg einen der ältesten Berge Japans, auf dem Bäume wachsen, Abkömmlinge von Bäumen, wie sie heute nirgends mehr zu finden sind. Hier, genau auf der Spitze des Berges, steht eine Zeder, Hunderte von Jahren alt, mit in Felsspalten gezwängten knorrigen Wurzeln, die einen harten Erdklumpen pressenden Fingern gleichen. |
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Krieg und Frieden Als kleines Mädchen war es in Tränen ausgebrochen, wenn es ein Pferd im gefrierenden Regen, angeschirrt, sein Fell hilflos zitternd, sah, während der Kutscher in der warmen und geheizten Kneipe trank...Es warf halbverwelkte Blumen nicht weg, sondern stellte sie in die Speisekammer, damit sie sich wieder ein wenig erholen konnten... Schon oft war es bei dem alten Mann mit seiner Waage vorbeigekommen, und eines Tages ging es zu ihm, nannte sein Gewicht, drückte ihm eine große Banknote in die Hand und rannte, so schnell es konnte, weg, um sich seinem Blick zu entziehen - während der verduzte alte Mann sich zur Kirche hinwandte, sich verneigte und sich dabei bekreuzigte... Einmal stürzte es sich während eines Sturms von den Klippen in die Wellen, um mit ihnen verbunden zu sein, mit ihnen eins zu werden, nicht einmal es selbst wußte oder dachte darüber nach, was es tat, und es konnte nur mit Mühe verhindern, von den Wellen an den Strand geworfen zu werden, während der sich dort aufhaltende Fischer voller Entsetzen seinen Kopf mit den Händen festhielt und auf und ab rannte... Als der Krieg ausbrach, war es noch sehr jung, und was es den Angreifern verübelte, war nicht nur, daß sie selbst töteten, sondern andere zwangen, sie zu töten... Hungrig und bis auf die Knochen durchgefroren, wanderte es nachts durch den Winterwald, viele Stunden, und kehrte erschöpft an die Stelle, an der es den zugefrorenen Bach überquert hatte, zurück. Und als es von irgendwoher Gebell hörte, brach es in diese Richtung auf... Ein Soldat griff es mit einem aufgepflanzten Bajonett an, und es schoß, schoß, und der Soldat fiel. Dann rannte, stürmte es unter Kugelhagel vorwärts, um zu dem Mann, den es um jeden Preis zu retten galt, zu gelangen... Und nach seiner Gefangennahme schlitzten sie seine Füße mit Bajonettklingen auf, und als sie anfingen, es an den Haaren zu zerren, entkam es nur wie durch ein Wunder etwas Schlimmerem... Viel später, als es erkrankte, wurden die Lebensumstände hart für das Mädchen. Sehr oft wollte es weggehen, für immer weggehen, irgendwo wiedergeboren werden, aber nicht in einer Stadt mit Menschen, sondern in einem großen, stillen Wald, unter Immergrün und Farnen, es wollte eine Art Flechte oder Moos sein, wie jene, die sich mit grauen, braunen, grünen und gelben Flecken an die Birkenrinde schmiegen. Eines Abends, als es die Wolken in ihren verschiedenen Farben und Formen beobachtete, wie sie von Norden nach Süden wanderten, eine nach der anderen, gemeinsam, wie sie ihre Umrisse wechselten, geboren wurden und starben, wie Schicksale, fühlte es, daß gerade diese Wolken die ewige Wahrheit und die ewige Wirklichkeit waren, während alle anderen Dinge, so starr und schwer, nur ein flüchtiger Anschein waren. |
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Botschaft an die Grenzwachen Ihr seid Soldaten dieses Landes. Von euch hängt seine Freiheit ab. Laßt einen Feind, der an unseren Küsten zu landen beabsichtigt, wissen, laßt ihn wissen, daß dieses Land vom Schweiß und vom Blut unserer Vorfahren getränkt ist, laßt ihn wissen, daß ihre Gebeine überall verstreut liegen. Laßt ihn wissen, daß dieses Land ein teures Land ist, jeder Quadrat Fuß die Kosten eines Kopfes. Laßt jeden Feind, der dieses Land erobern möchte, wissen: laßt ihn wissen, daß jeder unserer Männer, jede unserer Frauen und jedes unserer Kinder sein Gegner sein wird. Laßt ihn wissen, daß jeder Baum und jeder Stein in diesem Land sein Gegner sein wird. Laßt ihn wissen, daß er Tag und Nacht von Gegnern umgeben sein wird. Laßt nach der Schlacht, nachdem ihr die Leichen eingesammelt habt, das Begräbnis unter militärischer Zeremonie stattfinden, für unsere toten Soldaten und für die toten Soldaten unseres Feindes. Und ist das letzte Schiff der zerschlagenen Armee des Feindes hinter dem Horizont verschwunden, dann legt eure Speere nieder und kehrt zu euren Familien zurück. Und kümmert euch um die Kinder eurer gefallenen Kameraden; sie werden, wenn sie erwachsen sind, eine neue Schlacht gegen einen neuen Feind führen. |
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Weiße Blume Auf der Wiese, im Wald, im Garten - überall hielt ich Ausschau nach ihr. Ich sah viele weiße Blumen: Hirtentäschel, Morgenwinde, Narzisse, Lotos...aber sie waren nicht jene eine, nach der ich suchte. Ich hielt nach jener Ausschau, die vor ihrer Blüte innen weiß war. Oft glaubte ich, sie zu sehen - näherte ich mich ihr jedoch... In diesem Augenblick wieder: Ich sitze auf einem gefällten Baumstamm, und meine, sie dort unten unter den Farnen zu sehen. Soll ich näher herangehen und sie mir anschauen? Kann jedoch irgend jemand wirklich die weiße Blume finden, indem er nach ihr Ausschau hält? Wächst sie nicht stets gerade an den Stellen, wo niemand Ausschau hält? |
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IZDAVAČ: FS d.o.o. Zagreb |
Zum Haibun Das japanische Haibun ist eine literarische Form, in der eine Art Gedicht in Prosa und Haiku miteinander abwechseln. Dabei ist das Haiku oft eine Art Resümee des vorangegangenen Textes oder ein Prosaabschnitt in gewissem Sinn eine thematische Wiederaufnahme des vorangegangenen Haiku. Literarische Formen solcher Art, in der Prosa und Poesie abwechseln, haben in Japan eine lange Geschichte und sind sehr beliebt. Zumeist handelt es sich dabei um Tagebücher (wie z. B. das klassische ‘Tosa Nikki’ von Ki no Tsurayuki), um Sammlungen von Skizzen (wie z. B. das ‘Makura no sôshi’ von der Hofdame Sei Shônagon) oder um Reisebücher (wie z.B. Bashôs ‘Oku no hosomichi’). Näheres zum Haibun siehe Lydia Brüll, ‘Was ist ein Haibun’, in ‘Vierteljahresschrift der deutschen Haiku-Gesellschaft’ Nr. 41, Juni 1998, S. 2 bis 11 und Fortsetzungen. |